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Im März erscheint die neue CD PANNONICA von Gina Schwarz über ihr gleichnamiges Projekt das sie 2017 / 2018 gestartet hat. In Österreich gab es gerade schon einige Release-Konzerte. Trotzdem hatte Gina Schwarz Zeit für ein Interview mit uns, in dem sie über dieses spannende und vielseitige Projekt, ihre Ideen und die beteiligten Musiker*innen berichtet.

Mit der Zusammenstellung einer neuen Formation als Stage Band des renommierten Jazzclubs Porgy & Bess in Wien begann das Projekt Pannonica.Neben etablierten Jazzmusiker*innen ihrer Generation holte die österreichische Bassistin, Komponistin und Bandleaderin weitere aufstrebende Ausnahmetalente mit ins Boot und stellte so eine gleichberechtigte generationen-übergreifende Verbindung der heimischen Jazzszene her. Dabei waren Judith Schwarz (drums), Lisa Hofmaninger (soprano saxophone, bass clarinete), Lorenz Raab (trumpet, flugelhorn), Alois Eberl (trombone), Florian Sighartner (violine), Clemens Sainitzer (violoncello), Primus Sitter (guitar) und Philipp Nykrin (piano).

Zu acht Konzerten der Pannonica Stage Band wurden dann internationale Instrumentalistinnen und Komponistinnen als Gäste eingeladen: Die österreichische Komponistin Tanja Brüggemann, die mit Lichtarchitektur und Installationen arbeitende Künstlerin Conny Zenk, die schwedische Posaunistin und KomponistinKarin Hammar und die deutsche Jazzpianistin Julia Hülsmann, deren Kompositionen häufig auf Basis literarischer Werke, insbesondere Lyrik entstehen. 2018 folgten Konzerte mit den in den USA lebenden Musikerinnen Sylvie Courvoisier (p,comp) und Ingrid Jensen (tp,comp), Marilyn Mazur (drums, percussion, composition) sowie mit der Gitarristin Camila Meza (guit, voc, comp) und mit Angelika Niescier (sax, comp).

Diese internationalen Musikerinnen führten begleitend am Institut für Popularmusik der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw) Workshops und Diskussionen mit den Student*innen durch. Es entstanden Dialoge zwischen internationalen Musikerinnen aus unterschiedlichen Genres, unterschiedlichen Generationen, unterschiedlichen Ländern und an verschiedenen Instrumenten, die Einblick in große Karrieren von Frauen in der Popularmusik boten.

Eine schillernde Persönlichkeit war Inspiration für die Entstehung des gesamten Projekts: Namensgeberin Baroness Pannonica de Königswarter, eine Kämpferin, Mäzenin, Muse, Vertraute und innige Freundin vieler Musiker*innen, die oft die „Jazzbaroness“ genannt wurde. Jazz verkörperte für sie Modernismus und Toleranz.

Interview mit GINA SCHWARZ über ihr Projekt PANNONICA

Kannst Du uns etwas über die Jazzbaroness erzählen, da wir noch nie etwas von ihr gehört hatten, und wie sie Dich beim Entstehen des ganzen Projektes beeinflusst hat?

Viele Jahre war Pannonica de Koenigswarter (geb. Rothschild) die gute Fee der Jazzmusiker New Yorks. Als Frau, Jüdin und Adelige stand ihr Mäzenatentum und ihre Hingabe zum Jazz im Gegensatz zur Männerwelt des schwarzen Jazz. Jazz galt in den USA weder als Kunst noch als respektabler Beruf. Von 1961 bis 1966 befragte die Baronesse 300 Jazz-Musiker nach ihren drei größten Wünschen und dokumentierte diese zusätzlich mit einem Schnappschuss für ein Buch, das erst posthum herauskam.
Dieses Buch schenkte mir ein Musikerfreund und zur selben Zeit hörte ich eine Sendung über Pannonica de Koenigswarter auf Ö1 (Österr. Rundfunk), ich war fasziniert.
Auf der Suche nach einem geeigneten Projektnamen kam mir die Idee: ein Frauenname – eine Jazzliebhaberin – eine Jazzförderin – eine starke Persönlichkeit – eine Inspiration – pannonica.

Das Projekt umfasste ja verschiedene Aspekte wie die Verbindung von Generationen, die Verbindung der österreichischen mit der internationalen Jazzszene und die Präsentation von Frauen im Jazz. Waren diese Schwerpunkte von Anfang an geplant oder wie hat sich das Projekt entwickelt?

Dass es in Österreich doch noch so viele Bands der jüngeren Generation gibt, die ausschließlich aus Männern bestehen, erschreckte mich bei einem Konzertbesuch in Wien. Es fehlen immer noch Projekte mit mehr Weitblick – das impliziert für mich u.a. verschiedene Generationen und Männer mit Frauen mischen. Ich kontaktierte Christoph Huber, den Kurator und Clubbesitzer des Jazzclubs Porgy&Bess, um ein neues Projekt in diese Richtung vorzustellen. Er gab mir sofort den Auftrag, von Oktober 2017 bis Juni 2018 eine Konzertreihe im Rahmen der Porgy&Bess Stage Band zu spielen und zu organisieren. In Bezug auf Programmgestaltung hatte ich völlig freie Hand.
SolistInnen, die auch besonders gut in ein Kollektiv passen, holte ich ins Boot. Beim Line-up begann ich mit meiner Tochter Judith Schwarz am Schlagzeug.

Der Typ, als Stimme in der Musik, war mir wichtiger bei der Auswahl, als das Instrument. Zuhören und sich in der Gruppe auch zurücknehmen können, nicht nur in der ersten Reihe stehen wollen, sondern auch anderen den Platz geben, den sie brauchen, war für mich ein wichtiger Gedanke. Um bei acht Konzerten dem Publikum ein spannendes und ständig neues Programm bieten zu können, kam mir der Gedanke einer Kooperation mit internationalen Jazzmusikerinnen. Frauen im Jazz in den Fokus zu rücken und musikalische Erfahrungen mit internationalen Musikerinnen auszutauschen war in weiterer Konsequenz mein nächster Plan.

Was war bei der Auswahl der eingeladenen Musikerinnen für Dich entscheidend?

Meine Ambition war es, internationale Jazz-Musikerinnen auf unterschiedlichen Instrumenten, aus verschiedenen Ländern und unterschiedlichen Generationen zu featuren. Auch was den Jazz-Style angeht, suchte ich die Vielfalt und Abwechslung.

Wie hast Du die Konzerte vorbereitet und organisiert? Welche Stücke, welche Kompositionen wurden gespielt?

Ich begann mit der Organisation dieses großen Projekts ein Jahr vor dem ersten Konzert. Termine mussten bald fixiert werden, um mit der Wunschbesetzung spielen zu können. Zusätzlich wurden die Gästinnen angefragt, Workshops zu einem Topic eigener Wahl am ipop der mdw (Popularmusik Abteilung der Universität für Musik und Darstellende Kunst) zu halten. Meist fanden diese „Masterclasses“ einen Tag vor oder nach den jeweiligen Konzerten statt.
Podiumsdiskussion, Workshops und zusätzlich Diskussionen und Dialoge mit den Küstlerinnen im Rahmen einer Lehrveranstaltung (Magdalena Fürnkranz) waren zu organisieren. Neben Magdalena Fürnkranz unterstützten Gerda Müller (Vizerektorin für Organisationsentwicklung der mdw, Gender & Diversity), Andrea Ellmeier und Birgit Huebener (Stabstelle für Gleichstellung, Gender Studies und Diversität) das Projekt.
Die unterschiedlichen Konzertprogramme wurden im Vorfeld per Mail mit den Gästinnen ausgetauscht. Die Hälfte des Programms waren meine Kompositionen – die anderen Tunes steuerten die Gästinnen bei. Dabei ging es nicht nur um Kompositionen, sondern auch um die Arrangements. Mit der Pianistin Sylvie Courvoisier (CH/USA) und der Trompeterin Ingrid Jensen (CAN/USA) spielte die Band auch Konzerte in anderen Jazzclubs in Österreich und Ungarn.

Hast Du für dieses Projekt neue Kompositionen geschrieben? Und die eingeladenen Musikerinnen auch?

Für jedes Konzert komponierte ich neue Stücke, holte ältere aus meinem Fundus und arrangierte diese für die neue Besetzung. Manchmal versuchte ich bewusst den Stil, die Vorlieben der Gästin zu treffen. Bei Ingrid Jensen war das der Fall: „Toronto“ ist eine Widmung an den kanadischen Trompeter Kenny Wheeler, welcher wiederum eine große Inspiration für Ingrid Jensen ist. Sie liebte es, das Stück zu spielen.
Die Special Guests komponierten teils neue Tunes oder arrangierten ebenso älteres Repertoire.

Sicherlich gab es bei diesen Konzerten spannende Begegnungen, was war für Dich besonders beeindruckend?

Sehr beeindruckend war für mich, die verschiedenen Persönlichkeiten dieser Ausnahme-Musikerinnen kennenzulernen. Jede dieser Frauen war so individuell und hatte so viel zu „sagen“. Alle sind zudem nicht nur tolle Komponistinnen sondern auch Bandleaderinnen – umso mehr ein toller Austausch für mich und meine Band.

Seit 2011 unterrichtest Du Bass am Institut für Jazz-/Popularmusik der mdw Universität Wien. Bist Du immer noch die einzige Instrumentalistin, die dort unterrichtet?

Leider bin ich die einzige lehrende Instrumentalistin am ipop. In Österreich sieht es auch an anderen Universitäten nicht viel besser aus. Es gibt keine einzige lehrende Instrumentalistin am muk (Musik & Kunst Privatuniversität der Stadt Wien) und am kug (Kunstuniveristät Graz). Mein Start 2011 war leider sehr mühsam. Mobbing war im Spiel.

Und wie hoch ist der Anteil von Frauen unter den Studierenden?

Das sind die aktuellen Zahlen (Stand 13.3.2020):
Bachelorstudium Instrumentalpädagogik Popularmusik SS 2020
10 Studentinnen, 88 Studenten
Entspricht 10% Frauenanteil, 90% Männeranteil

Masterstudium Instrumentalpädagogik Popularmusik SS 2020
10 Studentinnen, 24 Studenten
Entspricht 29% Frauenanteil, 71% Männeranteil

Wie hoch ist eigentlich der Anteil der Musikerinnen im Jazz und in der Popularmusik in Wien und Österreich? Hat sich etwas verändert, gibt es positive Entwicklungen?

In den letzten 15 Jahren gibt es definitiv eine positive Entwicklung. Tendenzielle Verbesserung mit Auf und Abs würde ich es beschreiben. Hier eine genauere Angabe dazu:

Die Website von mica – music austria (eine nationale, nicht gewinnorientierte Forschungs- und Serviceorganisation für österreichische Musikschaffende) listet 284 Musiker*innen auf, die dem Genre Jazz/improvisierte Musik zugeordnet werden können. Diese Summe unterteilt sich in 210 männliche Musikschaffende, die mit 74 Prozent dieses Genre dominieren, und sich in die Sparten ›Instrument‹ mit 70 Prozent, dies entspricht 199 Musikern, und ›Gesang‹ mit 4 Prozent, also 11 Musikern, unterteilt. Der Anteil von weiblichen Musikschaffenden liegt bei 26 Prozent, dies entspricht 74 Musikerinnen, wovon 15 Prozent, also 43 Instrumentalistinnen, und 11 Prozent, also 31 Sängerinnen, in der Szene aktiv sind (Stand: Februar 2019). Diese Erhebung bezieht sich auf Musiker*innen, die in Österreich ihren Lebensmittelpunkt haben und regelmäßige Konzerte im In- und Ausland spielen. 
Fürnkranz, Magdalena. „Zur Situation von Instrumentalistinnen im österreichischen Jazz“. In: Jazzforschung heute. Themen, Methoden, Perspektiven. Pfleiderer, Martin. Zaddach, Wolf-Georg (Hrsg.). Berlin: Verlag EDITION EMVAS, 2019. S. 37-58.

Inzwischen seid Ihr ja schon auf CD-Release-Tour, in welcher Besetzung tretet Ihr auf und können wir euch auch in Deutschland live erleben?

Line-up / pannonica:
Gina Schwarz (bass, composition) 
Lorenz Raab (trumpet, flugelhorn), Lisa Hofmaninger (soprano saxophone, bass clarinet),
 Alois Eberl (trombone), Florian Sighartner (violin), Clemens Sainitzer (violoncello), 
Philipp Nykrin (piano), Christopher Pawluk (guitar), Judith Schwarz (drums).

Im Moment bin ich mit Promotion und Bemusterung von Jazzmagazinen und Radiosendern beschäftigt. Danach kommt meine Booking-Phase. Mit einem Festivalbooker im Saarland bin ich schon in Verhandlung.

Hilde Bernasconi – Frankfurt, 15.03.2020

 

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