Die Presse | 01.10.21
Das Gewicht von Schnee
Cellistin Sophie Abraham verarbeitet auf ihrem ersten Soloalbum den Lawinen-Tod ihrer Brüder. Sie wolle, sagt sie, „ihnen etwas Schönes widmen“.
Sophie Abraham geht mitten hinein. „Weight of snow“, heißt das erste Stück ihres ersten Soloalbums, unter dem man sich, „wenn man die Geschichte kennt, vielleicht schon etwas vorstellen kann“.
Im Pizzicato umtänzelt die Cellistin den Schnee und seine faszination, „wie leicht und wie schwer, wie hell und wie dunkel, wie berauschend und glitzernd und wie schrecklich ersein kann“. Im groovigen Teil des Stücks muss sie selbst manchmal angesichts von Erinnerungen schmunzeln.
Ihr sei immer klar gewesen, sagt Sophie Abraham: „Wenn ich ein Soloprogramm mache, will ich wirklich etwas von mir sagen. Ich glaube, das kann ich am besten.“ Das Album „Brothers“ erzählt nun, großteils ohnen Worte, von ihren beiden Brüdern, die beide nicht mehr da sind. Abraham war sechs, als die zwei, 21 und 23 Jahre alt, in Saalbach von einer Lawine mitgerissen wurden. Abraham, Nachzüglerin von insgesamt sechs Geschwistern, war damals mit ihrer nächstälteren Schwester und den Eltern gerade in Amerika, wo ihr Vater, ein Germanistikprofessor, für ein Auslandsjahr engageiert war. Weil sie so jung war, habe sie den Tod der Brüder anders erlebt als ihre restliche Familie, erzählt Abraham. „Eher wie in einem Traum, als wären sie länger auf Urlaub“.
Mit ihrem Album sagt Abraham, wolle sie ihren Brüdern „ewas Schönes widmen“, einen „Bezug herstellen zwischen damals und jetzt, um sich positiv zu erinnern. Ich habe mir gedacht, was gibt es Schöneres, als meinen beiden Brüdern ein Denkmal zu setzten mit Musik? Mit dem, was ich in meinem Leben mache.“ in ihrer Familie zeigt ihr Werk schon Wirkung. „Ich bekomme viel Feedback, dass es für alle hilfreich ist, diese Musik zu hören und sich gern zu erinnern.“ Aber auch andere Menschen reagieren darauf. „Das Unglaubliche ist, dass nach Konzerten Leute auf mich zukommen und Geschichten erzählen von ähnlichen Erlebnissen. Da werden total persönliche Sachen geöffnet, mit wildfremden Leuten“, berichtet sie.
Für sie selbst ist es auch der Versuchm das traumatische Erlebnis nicht an ihre eigenen Kinder weiterzugeben. Abraham hat mit ihrer Frau zwei Töchter, die kleinere ist eben neuen Monate alt geworden. Abraham hat sie zum Gespräch mitgebracht, die Kleine sitzt vergüngt auf ihrem Schoß. Sie wolle die Dinge auf den Tisch legen, sie benennen, statt sie zu tabuisieren. „Ich hoffe, dass es eine positive Wirkung auf meine Kinder hat, dass sie frei von Ungenanntem aufwachsen können.“
Abraham selbst ist eigentlich in Groningen aufgewachsen. Ihr Vater war einem Ruf dorthing gefolgt. Daheim in Österreich, sagt Abraham, sei ihm das politische System zuwider gewesen mit seinen Angeboten – wenn er zu dieser partei komme, bekäme er jenen Prfessorenposten. als ihre Altern in Pension gingen, zogen sie ins Ennstal, wo ihre Familie mütterlicherseits in Wörschach seit Jahrzehnten ein Haus besaß. Einen ziemliche Umstellung, zumal das Ennstal, „was das Cello betrifft, ziemlich Wüste war“. Auch sprachlich habe sie sich zunächst schwergetan. „Einen Monat lang hab ich in der Schule nix verstanden.“ Irgendwann, sie war mit dem Hund allein auf die Alm gegangen, begegnete sie dort einer alten Bäuerin, die in ihr „ein Ladstätter Dirndl“ erkannte. Ab da habe sie sich auch im Ennstal zu Hause gefühlt.
Heute lebt sie in Pressbaum, in einem ökosozialen Wohnprojekt in Holzhäusern am Rand des Wienerwalds. Hier, im eigenen Wohnzimmer, hat sie auch das Album aufgenommen. „Ich wusste, dass mein Wohnzimmer gut klingt“, sagt sie. Ein audiotechniker hat es nochmals eigens ausgemessen, ein Tontechniker die Mikrofone postiert. „So konnte ich über einen zeitraum von mehreren Monaten immer, wenn ich Zeit hatte, aufnehmen“, erzählt sie. „Außerdem finde ich es cool, wenn man als Musikerin auch computertechnisches Konow-how.hat.“
So erzählt sie nun mit ihrem Cello etwa von der Möwe Jonathan, vom „Mariazellerweg“, auf dem man sich selbst begegnet. Sehr persönlich ist auch „Going & Coming“, über den Tod ihrer Mutter und die geburt ihrere Tochter. In ihrer Vorstellung seiht Abraham darin ihre Mutter, „wie sie im Himmer sitzt, meine Brüder sitzen neben ihr, sie schauen auf uns herab und sehen, dass wir gern ein hätten – und suchen eine Seele aus, die sie uns schicken“.
Teresa Scahur-Wünsch – 01.10.21