Jazz Podium | Platte des Monats
Erst in Sicherheit wiegen, Heimeligkeit antäuschen, altruistische Liebe womöglich, Dinge umarmen sozusagen: die Kalimba (die ist es doch?) erzählt gleich im Eröffnungsstück, bei ≫Gm’s Musicbox≪, davon; bevor deren Schönklang nach kaum einer Minute vom Klavier hinterfragt wird. Repetitive Muster brechen von dort aus ein, dann entspinnt sich eine Melodie im Kontrabass, und Trompete und Posaune greifen sie auf. Das erste, ein sattes Solo – ein Cello gestrichen im Hintergrund – hat die Leaderin, insofern ist man Bop-Traditionen verhaftet.
Gina Schwarz streckt eigenhändig das Terrain ab: zur Freiheit, zur formal klar umrissenen Freiheit des Ausdrucks hin soll es im Folgenden gehen. Bald darauf wiederkehrende Tonkumulationen, wo man ans Moka Efti Orchestra denken konnte, das Glass‘ ≫Koyaanisqatsi≪ mit eigenen Mitteln und ohne sich aufzugeben zu bewerkstelligen sucht. Das E-Gitarrensolo lasst die Stimmung ins Amplitudenhafte des Rock kippen, hierauf: päng – und aus.
Nimmt man sich die fünf ersten Stücke von ≫Pannonica≪ vor, des großgruppigen Projekts der Bassistin Gina Schwarz aus Hollabrunn/Niederosterreich, ist man zunächst geschüttelt und gerührt und hört sich alsbald sagen: Das packen die nicht.
Dieses Niveau über zwei CDs zu halten.
Und was?
Packen sie doch. – Weitgehend.
Schwarz hat diese Band, die ein Nonett ist, 2017/18, da noch unter anderem Namen, konzipiert. Man fährt Saiteninstrumente auf (Florian Sighartner an der Violine, Clemens Sainitzer am Cello, Primus Sitter an Gitarre plus Philipp Nykrin am Klavier), aber keine konziliante Streicheranmutung; Rhythmus, der von Bass’n’Drums (am Schlagzeug Judith Schwarz) ausgeht, spielt eine zentrale Rolle, und auch die Melodien, die nicht nur den Stücken in Variationen festen Halt geben und oft berückend ausfallen. Sie werden vorangestellt und schließen die Stücke ab. Das ist eine feste Struktur, die es, mit minimalen Abweichungen, hinzunehmen gilt. Zu der Struktur stoßen aber Spielfreude und fast schon erschreckende Vitalität und Wendigkeit und Arrangiereinfalle laufend hinzu.
Die Band ist nach Pannonica de Koenigswarter oder bloß nach Thelonious Monks Würdigung an seine Mäzenin oder nach beidem benannt. Sie hat inzwischen mit reichlich namhaften Gästen musiziert.
Man spielt hier eigene Stücke, zwei Reminiszenzen darunter, beide an Trompeter – die eine an Kenny Wheeler, die andere an Miles Davis. Beide Stücke erfassen die gewürdigten Objekte in transzendierender Weise recht genau. (Wheeler ist ganz der Wehmutsimpresario, der er im eigenen Werk war; Davis steckt hier in seiner elektrischen Periode, gestopfte Trompete kommt zwar vor – an ihr wie am Flügelhorn: Lorenz Raab, protegiert wird aber widerspenstigerweise das Sopransaxophon der Lisa Hofmaninger, die bei anderen Gelegenheiten auch Bassklarinette spielt.)
Man zeigt sich zweigeteilt: die erste CD tragt den Titel ≫Musicbox≪, die zweite ≫Free Landscape≪. Das Hauptwerk ist ≫Musicbox≪. Mit drei Zwischenspielen um eine Minute rum für Bass-Solo versehen, die die markant ausgespielten Atmosphären mit einer nicht unnötigen Zäsur versehen. Alle elf Stücke stammen von Schwarz.
CD 2 hat einen Outtakes- oder Jam-Charakter, ist beinahe ein Experiment mit offenem Ausgang; ausreichend schon, um längerfristig zu beeindrucken, doch gemessen am zuvor Gehörten auf CD1 wie ein Nebenprodukt wirkend; da gehen die Kompositionscredits zumeist ans gesamte Ensemble. (Obgleich sich von den zwölf Titeln ≫Road Trip A22≪, ≫Baharat≪ oder ≫Abibliophobia≪ – Charleston? Bein angewinkelt jedenfalls – sehr farbenreich und in Power und Sanftmut sehr ausbalanciert zeigen.)
Das ist transparenter Ensemblesound vor allem, selbst wenn Soli (Bass vor allem, Posaune, Violine, Sopransax, Trompete) vorkommen – sie fügen sich gut ein, sorgen fürs Atemholen und für Kontrast, sind aber für sich besehen nicht von unnachahmlichem Wert. Das ist mehr der allzeit wirkungsvolle Insgesamt-Sound: nahe der Bigband angesiedelt, aber gleichzeitig kammermusikalisch – doch fern, ganz fern des kleinen Schwarzen oder der adrett geknoteten Fliege. Man ahnt, dass Gina Schwarz wahnsinnig viele Musiken verinnerlicht, hier vieles ihren Bedürfnissen, ihrem zweifellos vitalen Wesen angepasst hat. Bei ≫Pannonica≪ flippt man nicht aus, wird nicht dissonant oder free, ist mehr an geschickten bis subtil-geschickten Verschachtelungen und Verschiebungen, vielfaltigen Dynamikentauschaktionen interessiert, an harmonischen Wechselbädern. So kommt es dann, dass man sich nicht minder energiegeladen und unangepasst wie formvollendet darstellt. In einer Balance, die ein Ellington begrüßt hatte.
Impressionen: ≫Flip Trip≪ ist funky auf nie unterfordernde Art. Bläser-Einwurfe. call & response-Interaktionen. Das Thema variiert in unterschiedlichen Gruppierungen, Sektionen. Stimmungsanalogien (oder schon Imitationen?) zwischen ≫Toronto≪ und ≫Via Terra≪: Man kommt mal runter. Unschlüssigkeit dominiert bei ≫Four Steps≪; Unschlüssigkeit aber, beileibe kein Paradoxon, die schlüssig dargeboten wird: Man weiss nicht wohin es gehen soll, macht es dahingehend aber leuchtend klar. Doch selbst hier, im Wirrwarr: die anfängliche little melody, die kehrt wieder.
Was sagen? Gina Schwarz und ≫Pannonica≪: großartig.
Adam Olschewski – April 2020