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Musikalische Eingrenzungen sind der Cellistin SOPHIE ABRAHAM fremd. Das verrät auch ein Blick auf die zahlreichen Betätigungsfelder der 1986 geborenen Musikerin: RADIO.STRING.QUARTET, TRIO FRÜHSTÜCK, ENSEMBLE SCURDIA und THE LITTLE BAND FROM GINGERLAND sind nur einige Projekte, die die musikalische Ungebundenheit von SOPHIE ABRAHAM sichtbar machen. Mit „Brothers“ (Cracked Anegg) veröffentlichte die Künstlerin nun ihr Solodebüt. Und „solo“ bedeutet in ihrem Fall tatsächlich solo, denn vom Komponieren bis hin zum Aufnehmen verblieb wirklich nahezu alles in den Händen der Cellistin. Im Interview mit Michael Ternai sprach SOPHIE ABRAHAM darüber, warum sie sich erst jetzt dazu entschlossen hat, ein Soloalbum zu machen, sowie darüber, dass sie durch die Auseinandersetzung mit dem Tod das Leben feiert und wie man den herausfordernden Spagat zwischen der Mutterrolle und dem Künstlerinnendasein meistert.
Du warst und bist seit jeher in viele Projekte involviert. Du hast bei The Little Band from Gingerland gespielt, bist mit dem Trio Frühstück aktiv und auch sehr viel mit dem radio.string.quartet unterwegs. Warum also gerade jetzt ein Soloalbum? Ist der Drang, das jetzt zu tun, so groß geworden?
Sophie Abraham: Ja, absolut. Ein Soloprogramm schwebte mir, wenn ich ehrlich bin, schon fünfzehn Jahre lang vor. Der Drang, ein solches umzusetzen, kommt für mich ein wenig der Frage gleich, ob man Kinder will oder nicht, weil so etwas Eigenes, wie ein Soloprogramm in die Welt zu setzen, schon etwas sehr Spezielles ist. Und bei diesem Album ist auch wirklich alles solo. Ich habe die Stücke alle selbst komponiert, selbst aufgenommen und bis auf zwei kleine Ausnahmen bin nur ich auf dem Album zu hören. Ein Grund, warum ich mit einem Soloprogramm trotz des inneren Dranges so lange zugewartet habe, war sicher auch, dass ich mich lange nicht wirklich getraut habe. Es bedurfte schon eines längeren Prozesses, um den Mut zu entwickeln, das Projekt wirklich in Angriff zu nehmen. Rückblickend kann ich sagen, dass es für mich aber sehr schön und sehr gut war, dass es so gelaufen ist.
Du hast für dein Album ein sehr persönliches Thema gewählt. Es geht um den Tod, vor allem um jenen deiner zwei Brüder, die 1993 in einer Lawine gestorben sind.
Sophie Abraham: Ich habe dieses Thema gewählt, weil es sehr viel mit mir, meiner Familie, generell mit meinem ganzen Leben zu tun hat. Ich würde aber nicht sagen, dass das Thema des Albums der Tod ist. Das spüre ich gar nicht so. Ich würde eher sagen, dass ich, weil ich dem Tod so nahegekommen bin, das Leben auf eine ganz andere Art und Weise wertschätze und es einfach nur feiern möchte. Auch wenn Leute nicht mehr da sind, haben sie sehr intensiv und schön gelebt. Das ist etwas sehr Wertvolles, an das man sich erinnern darf. Wenn man geliebte Menschen verliert, ist es natürlich schwer, nicht in eine konstante Trauer zu verfallen. Und das wollte ich auf dem Album auch nicht tun. Es geht mir darum, einfach die schönen Erinnerungen wieder hervorzurufen. Diesbezüglich war der Rahmen, in dem das Album entstanden ist, auch ein sehr passender. Die Musik ohne jeden Druck allein zu Hause aufzunehmen und die ganze Zeit zur Verfügung zu haben, diese zu erleben und sie im Moment der Aufnahme noch einmal neu zu erfinden, das war etwas, was ich sehr genossen habe.
Du hast das Album tatsächlich bei dir zu Hause aufgenommen?
Sophie Abraham: Ja. Im Wohnzimmer. Es hat sich einfach angeboten. Ich war zu dieser Zeit schon schwanger und meine andere Tochter war bis zum Nachmittag im Kindergarten. Es eröffnete sich für mich viel Zeit. Ich habe unser Wohnzimmer von einem Audiotechniker ausmessen lassen. Anschließend hat Thomas Schröttner, der mein Album dann abgemischt hat, alles eingerichtet, jedes Mikrofon ganz genau auf den Zentimeter positioniert und einige Probeaufnahmen gemacht. Dann habe ich losgelegt.
Besonders an „Brothers“ ist, dass es sich dem Thema nicht nur schwermütig, dunkel und traurig annähert, sondern dass es auch eine hoffnungsvolle Note zulässt. Wie herausfordernd war dieser Spagat zwischen den Stimmungen für dich?
Sophie Abraham: Um den habe ich mich eigentlich gar nicht bemüht. Der ist einfach so entstanden. Natürlich bildet das Melancholische einen großen Teil ab, gleichzeitig wollte ich mit der Musik aber auch eine wirklich innige Lebensfreude ausdrücken. Die Musik soll auch aussagen, wie wichtig es ist, schöne Sachen gemeinsam zu erleben und gemeinsam auf Abenteuer zu gehen.
Was ich an dem Album auch sehr schön finde, ist, dass man einerseits zwar hört, dass du sehr an den Stücken gefeilt hast, dass du aber andererseits das Ganze in eine musikalische Sprache umgesetzt hast, die wirklich fließt. Von wie viel Perfektionismus bist du angetrieben, wenn du dich hinsetzt und an einem Stück arbeitest?
Sophie Abraham: Ich bin davon überzeugt, dass ich überhaupt keine Perfektionistin bin. Ich sehe manchmal Kolleginnen und Kollegen, die viel perfektionistischer agieren, als ich es tue. Und manchmal denke ich mir auch, dass ein wenig Perfektionismus da und dort mal nicht so schlecht wäre. Allerdings, wenn ich dann wirklich an die Arbeit gehe, weiß ich dann doch meistens ganz genau, was ich will, und höre auch so lange nicht auf, bis ich einen gewissen Punkt erreicht habe. Bei dem Album war es aber auch so, dass ich manchmal bei den Aufnahmen, da und dort – etwa bei der Intonation oder beim Editieren – etwas anders haben wollte, mein Mixmeister Thomas Schröttner aber immer wieder gemeint hat: „Ich ändere das jetzt nicht, weil das du bist und das ist echt“. Darauf habe ich dann gesagt: „Okay, passt. Dann ist es eben nicht perfekt. Verstehe ich.“
Du bist als Musikerin in den unterschiedlichsten Genres unterwegs. In der Klassik, im Jazz, in der Kammermusik, auch im Pop hast du dich schon bewegt. Wie viel von deinen verschiedenen Projekten ist musikalisch in dein eigenes eingeflossen?
Sophie Abraham: Ich würde sogar sagen, dass dieses Album schon um einiges poppiger ist als das, was ich sonst mache. Und das finde ich auch schön. Einen Einfluss, den ich ganz bewusst zugelassen habe, ist jener aus der Folk-Richtung. Ich habe immer schon Volksmusik gemacht, auch während meiner Studienzeit in Graz. Durch einen Contemporary-Folk-Workshop in Lunz am See und meine Kollaborationen mit Julia Lacherstorfer, ALMA und Harald Haugard wurde ich schließlich wieder an die Schönheit des Folk erinnert. Daher klingen auch in manchen Stücken, wie etwa beim Stück „Mariazeller Weg“, stark folkige Elemente durch. Klarerweise schwingt in meiner Musik aufgrund meiner musikalischen Ausbildung in gewisser Weise auch immer die Klassik mit, aber ich denke, nicht in dem Maße, dass man mich sofort als Klassikerin erkennt. Man lernt in der Klassik halt das Instrument sehr gut zu spielen.
Ich denke auch, dass sicher einiges vom radio.string.quartet in meiner Musik vorhanden ist, vor allem hinsichtlich der Klangsprache, die beim radio.string.quartet eine sehr klare ist. Man kann sich in deren Stimmungen einfach sehr schön verlieren.
Wie sehr hat das Album auch der Umstand begünstigt, dass die Coronapandemie deine Liveaktivitäten eingeschränkt hat?
Sophie Abraham: Den Plan, dass ich das Album 2021 rausbringen werde, hatte ich schon vor der Coronakrise. Sprich, die Krise war nicht der Grund für dieses Album. Es war sogar so, dass mir Corona die Zeit verschafft hat, mich wirklich einmal ausgiebig mit anderen Sachen, wie etwa mit dem Editieren, zu befassen. Auf der anderen Seite war Corona mit den ganzen Lockdowns und dem damit verbundenen musikalischen Stillstand für die Kreativität nicht immer förderlich. Man wusste nicht, was da auf einen zukommt und was wirklich los ist. Die Situation empfanden ich und viele meiner Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich mich unterhalten habe, als bremsend. Die Situation war keine leichte.
Ich glaube, ich habe Corona auch anders und vor allem auch intensiver erlebt, weil am Beginn des ersten Lockdowns meine Mutter gestorben ist. Und in gewisser Weise war ich über diesen Stillstand auch froh, weil ich wirklich die Zeit zum echten Trauern fand. Wenig später bin ich dann auch schwanger geworden, was mich neuerlich sofort auf mein Innerstes fokussieren ließ. Bei mir hat sich in dieser Zeit einfach so vieles getan, was mich die Situation anders wahrnehmen ließ.
Du bist zweifache Mutter. Inwieweit lässt sich diese Rolle eigentlich mit Konzertreisen vereinen? Ich nehme mal an, dass du das Album auch live vorstellen möchtest, oder?
Sophie Abraham: Ich habe ganz klar die Entscheidung getroffen, dass ich auch als Mutter von kleinen Kindern spielen will. Und da stehe ich voll dahinter, weil ich es einfach so gern tue. Gleichzeitig muss ich aber schon zugeben, dass es sehr anstrengend ist, weil – und da muss ich kurz politisch werden – in Wien zum Beispiel Tagesmütter so gut gefördert werden, dass du theoretisch dein Kind ohne schlechtes Gewissen schon früh zu einer Tagesmutter geben kannst. Und das in einem leistbaren Rahmen. Hier in Niederösterreich, wo ich lebe, wird Kinderbetreuung erst gefördert, wenn das Kind zweieinhalb Jahre alt ist, und man zahlt, ohne zu übertreiben, an die zehnmal so viel. Das bedeutet, du zahlst alles zu Gänze oder es geht halt nicht. Zum Glück unterstützt mich hier aber meine Frau, die mich an vielen Abenden und Wochenenden freispielt und sich um die Kids kümmert. Zudem engagiere ich, wenn es notwendig ist und es nicht anders geht, einen Babysitter, was die ganze Sache zusätzlich erleichtert. Was das Üben und das Arbeiten am Computer betrifft, das passiert mit den Kindern daneben. Ich habe jetzt hier im Wohnzimmer meine Technik aufgebaut, was ein ziemliches Arsenal ist, und zwischen den ganzen Kabeln liegt das Lego. Das ist natürlich relativ anstrengend.
Ich hätte mich auch ganz leicht dafür entscheiden können, ein Jahr zu Hause zu bleiben. Das ist in Österreich auch sehr gut möglich. Allerdings bedeutet das für eine Musikerin oder einen Musiker, ein ganzes Jahr lang Pause zu machen. Und so gerät man als freiberufliche Musikerin oder freiberuflicher Musiker recht schnell weg vom Schuss. Und das will ich einfach nicht.
Michael Ternai – 01.10.21