Salzburger Nachrichten

Die Ruhe statt des Sturms – Besinnliches vom Party-Experten: Gemeinsam mit dem Klavierstar Tord Gustavsen stellte Ulrich Drechsler in Salzburg sein neues Quartett vor.

Gustavsen gibt Gas. Als ginge es darum, auch noch die letzten Erinnerungen an den schmachtenden Songbeginn wegzuspielen, traktiert der Pianist die Tasten seines Flügels, und formt mit einem packend-dichten Solo die anfängliche Jazzromanze doch noch in ein kleines Drama um. Wer die beiden Soloalben des norwegischen Klavierstars kennt, wundert sich: Eigentlich ist Tord Gustavsen nicht als Temperamentbolzen aus dem hohen Norden bekannt, sondern dafür, dass er mit meditativen, lyrischen Jazzimprovisationen die Spitzenreiter der norwegischen Popcharts rechts überholt hat. Aber bei dem Quartett, das am Donnerstagabend im Salzburger Jazzit:Musik:Club seine CD „Humans & Places“ (Crack/Lotus) präsentierte, hat ohnehin jemand alle Vorzeichen vertauscht. Während Gustavsen am Klavier Tempo macht, geht es Bandchef Ulrich Drechsler ruhig an: obwohl, oder eben weil er im Hauptberuf als Saxofonist der Wiener Club-Jazzer Café Drechsler für Stimmungsmache auf der Tanzfläche zuständig ist, bevorzugt er diesmal die Bassklarinette und die leiseren Töne.
„Als ich zum ersten Mal eine Tord-Gustavsen-Platte hörte, wusste ich, was ich für Musik machen will“, erklärt ein geläuterter Ulrich Drechsler dem Jazzit-Publikum. Den ECMPianisten hat er deshalb auch gleich für das Debütalbum seines neuen Quartetts mit Café-Drechsler-Kollege Oliver Hangl (Bass) und Drummer Jörg Mikula verpflichtet. In Songs wie „Soulmates“ (dt. Seelenverwandte) teilen Drechsler und Gustavsen Vorlieben für besänftigte afrokubanische Rhythmen und transparente Arrangements. Im Jazzit setzt sich dabei anfangs ein Faible für Schönklang durch, das mitunter deutlich auf Kosten der Spannung geht. Nach einem rasanten Rutsch ins zweite Set kommt jedoch auch Knistern in die langsameren Tempi. Ein Café-Drechsler-Fan versteht trotzdem die Welt nicht mehr und fordert pöbelnd Songs ein, die „mehr funky“ sein sollen, und zwar am besten schnell. In seiner Ruhe lässt sich das Quartet davon aber auch nicht erschüttern. Und obwohl einige Songs durchaus mehr Reibungsfläche vertragen würden, exerziert die Band doch eines vor: Der Musikhorizont fängt manchmal hinter dem Dancefloor erst an.

Clemens Panagl – 03.06.2006

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