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Kein Freund des Lauten – Franz Koglmann ist als Musiker nie stehengeblieben: Erst Klassik, Konservatorium, dann Free Jazz. Der wirtschaftliche Erfolg war stets zweitrangig.

Wenn Franz Koglmann mit einer Band auftritt, wirkt es oft, als gehöre er gar nicht richtig dazu.Während die Instrumentalisten seine ziemlich komplizierten Partituren mit Verve exekutieren und ihre Improvisationen dazwischenquetschen, sitzt der Komponist mit teilnahmslosem Gesichtsausdruck daneben und stützt sich auf sein Flügelhorn. Doch das scheinbare Fehlen von Temperament täuscht: Koglmann hat alles unter Kontrolle. Obwohl er kaum da zu sein scheint, ist er als unbewegter Beweger das Zentrum eines bunten Musik-Mikrokosmos zwischen Klassik und Jazz und der unangefochtene Regisseur eines dunkel verschatteten Klanges, den ein amerikanischer Jazzkritiker einmal „Viennese Cool“ genannt hat.

Auf stille Art ist Franz Koglmann ein bedeutender Vertreter der Wiener Klangkunst geworden. Der Musiker, der in den sechziger Jahren als Exponent des Free Jazz begann, der in Galerien und manchmal auch dubiosen Spelunken spielte, avancierte im Lauf der Jahrzehnte zu einer Art Wildcard. Dank seiner Hilfe aromatisierten traditionelle Institutionen ihre Programme mit der wilden Frische einer undogmatischen Musikauffassung. Er komponierte für die Donaueschinger Musiktage genauso wie für die Gluck-Opern-Festspiele in Nürnberg. Er trat in den siebziger Jahren beim Steirischen Herbst auf und eröffnete mit seiner Jazzoper Join! im Jahr 2013 die Wiener Festwochen. Derzeit arbeitet er an einem Auftragswerk für den ORF:Liebe Sophie, ein gemischter Satz aus Orchester, Improvisationstrio und Sprecherstimme, nach einem Libretto des Drehbuchautors und Regisseurs David Schalko.

Franz Koglmann, der einstige Klang-Revoluzzer, ist längst Teil des ästhetischen Mobiliars der Republik geworden. Die renommierte Neue Zeitschrift für Musik schrieb im Jahr 2008, er gehöre zu den Künstlern, „die das Musikleben in Wien aus dem Dornröschenschlaf weckten“. Und das führende amerikanische Jazzmagazin Downbeat bezeichnete den Komponisten schon 1992 als „Master of Melancholy“.

Wenn der Komponist von solchen Triumphen erzählt, wird der Sprachfluss immer wieder von kehligem Lachen unterbrochen. Franz Koglmann, der mit seinem kahl rasierten Kopf und der dick umrandeten Brille eher an einen Mathematikprofessor erinnert denn an einen Jazzmusiker, ist gegen Zurufe von außen weitgehend immun – seien sie nun positiv oder negativ. Ihn interessiert nur die Arbeit an sich. Und die verrichtet er vorwiegend in seinem loftartigen Refugium im Dachgeschoss des Reumannhofes am Margaretengürtel, das er der Wiener Stadtregierung abgetrotzt hat: Mächtige Bücherwand, großzügige Fensterfront, Klavier, am Boden verstreute Notenblätter – eine Mischung aus Edelboheme und „Schöner Wohnen“. Immer wieder huscht eine Katze durch den Raum und schärft die Krallen an einem Kratzbaum.

Hier lebt Franz Koglmann mit seiner Lebenspartnerin Ingrid Karl, mit der er seit Jahrzehnten die Wiener Musik Galerie betreibt und Avantgardefestivals veranstaltet. Hier war auch das Headquarter, als der Musiker in den nuller Jahren als künstlerischer Direktor des unorthodoxen Jazzlabels Between the Lines fungierte. Ein Banker aus Frankfurt, der sich als Fan deklarierte, schlug vor, eine Plattenfirma zu gründen, mit der Koglmann sein Kunstverständnis auch auf andere Musiker ausweiten könnte. „Wir haben das dann tatsächlich gemacht und schöne Alben produziert, die eine Art Euro-Jazz-Ästhetik umrissen haben. Aber das Plattengeschäft wurde immer schlechter, und nach fünf Jahren dachte ich: Jetzt reicht’s!“

Die Karriere des Franz Koglmann, der 1947 in Mödling geboren wurde und gerade seinen 70. Geburtstag feierte, war nicht abzusehen, als er in Siebenhirten am südlichen Stadtrand von Wien aufwuchs. Der Vater war Elektriker, die Mutter Hausfrau und später Hausbesorgerin. „Das waren simple Verhältnisse“, erzählt der Musiker. „Zimmer, Küche, Häusl am Gang. Substandard würde man heute dazu sagen.“ Musik spielte im Familienleben zwar eine Rolle – der böhmische Großvater war ein Virtuose auf der Knöpferlharmonika, die Mutter sang in einem Chor – doch an eine professionelle Karriere dachte niemand. „Auch aus mir wollten sie einen Hackler machen, sie kannten ja nichts anderes“, sagt Koglmann. Und erzählt dann, wie er mit seiner Mutter zur Berufsberatung ging und plötzlich Buchbinderlehrling war. Es sei ihm aber klar gewesen, dass dies nicht sein Lebensinhalt sein könnte: „Zwei Monate später war ich schon auf dem Konservatorium – auf eigene Initiative natürlich.“

Der angehende Musiker hatte als Akkordeonist begonnen und wechselte dann, unter dem Einfluss eines Konzertes von Louis Armstrong in der Wiener Stadthalle, zur Trompete. Jazz wurde damals in den Musikinstitutionen nicht gelehrt, deshalb erhielt Koglmann eine klassische Ausbildung zwischen Kontrapunkt und Sonatenhauptsatzform.

Am Abend floh er mit Kommilitonen aus der strengen Kammer und stürzte sich in das ziemlich überschaubare Wiener Nachtleben: Erst ging es brav in die Oper oder in den Musikverein, danach ins Café Sport in der Schönlaterngasse, ins Hawelka, „das noch keine Touristenbumsn war“, wie Koglmann betont, und in Jazzclubs wie das Josefinum in der Währingerstraße. „Ich war von Anfang zweigleisig unterwegs“, sagt der Musiker. „Klassik und Jazz, das war beides da.“ Friedrich Gulda war damals im Wiener Musikleben omnipräsent. Erst spielte er Beethoven im Musikverein und ging anschließend in die Jazzclubs jammen. „Der war ein irres Vorbild für uns junge Musikstudenten“, sagt Koglmann, „vor allem weil er sich einen Jux daraus machte, das spießige Klassikpublikum zu schockieren.“

Musikalisch zog es Koglmann zu den genialen Dilettanten und freigeistigen Improvisatoren des Wiener Free Jazz: Mit den Mitgliedern der Masters of Unorthodox Jazz oder der Reform Art Unit traf er sich, um zu trinken, zu diskutieren und gelegentlich einen Auftritt zu absolvieren.

Hilfreich war, dass er es mittlerweile vom Stadtrand ins Zentrum geschafft hatte: „Ich wollte unbedingt mit meiner damaligen Frau Margit in den 1. Bezirk ziehen. Offenbar das typische Syndrom der Vorstadtkinder. Wir fanden schließlich auch eine Wohnung in der Seilerstätte: 17 Quadratmeter, ziemlich düster. Heute ist das ein Abstellkammerl der Galerie Krinzinger.“

Geld konnte man mit einer Musik, die sich nicht beim Publikum einschmeicheln wollte und nur ihrer eigenen Radikalität verpflichtet war, nicht verdienen. Deshalb spielte Franz Koglmann während der Ballsaison in Tanzorchestern und arbeitete jahrelang als Nachtwächter in Favoriten.

Zu sich selbst und zu einer eigenen Stimme fand der Flügelhornspieler und Komponist aber erst, als er sich von allen Cliquen losgesagt und alle künstlerischen Allianzen aufgekündigt hatte.

Nach etlichen Lehr- und Wanderjahren war das musikalische Rezept, das sich der begeisterte Hobbykoch Koglmann ausgedacht hatte, auf der 1984 erschienenen Platte Schlaf Schlemmer, schlaf Magritte endlich ausgereift: Der Eklektizist, damals noch begeisterter Pfeifenraucher, mischte mit seinem Ensemble Pipetet unbekümmert Zwölftonreihen und die subtilen Melodieliniengeflechte des Cool Jazz, harsche Klaviercluster und wohltönende Trompetentöne und schuf damit eine Art Jazz-Kammermusik. Es folgte bis heute eine endlose Reihe von Alben, darunter das Selbstporträt Ich, die kritische Auseinandersetzung mit dem Dichter und Mussolini-Fan Ezra Pound unter dem Titel O Moon My Pin-Up und An Affair With Strauss, ein schräger Blick auf das musikalische Œuvre des Walzerkönigs. „Ich kann nicht leugnen“, sagt Koglmann, „dass ich eine Vorliebe für eine bestimmte Art von Nervosität habe und für sinnliches Raffinement – vielleicht auch für eine bestimmte Form der Dekadenz im Sinne Baudelaires. Ich bin kein Freund des Lauten und Extrovertierten. Deshalb waren mir masturbatorische Selbstausstülpungsrituale am Instrument immer ein Gräuel.“

Nach den Jahren als Impresario für das Plattenlabel Between the Lines wirkt Franz Koglmann heute wieder ausschließlich in der Kernzone seiner künstlerischen Leidenschaft: Er arbeitet an Kompositionsaufträgen und gibt nur wenige Konzerte.

War der Siebziger eine Zäsur, ein existenzieller Einschnitt? Koglmann schmunzelt: „Ich halte mich da an den Dichter Wolf Wondratschek, der gesagt hat, dass man sich erst in diesem Alter so richtig gut fühlt.“ Außerdem gäbe es Vorbilder, die noch in hohem Alter Bedeutendes zustande gebracht hätten: „Der Jazzmusiker Clark Terry ist mit 94 Jahren gestorben. Der hat schon keine Haxen mehr gehabt und dann halt im Bett liegend Trompete gespielt.“

Erfolge:
1985 Durchbruch – Die Zusammenarbeit mit dem Schweizer Label Hat Hut Records war der Beginn der internationalen Karriere von Franz Koglmann.
2007 Kulturhauptstadt – Koglmann erhält den Auftrag, den offiziellen Österreich-Beitrag zur Kulturhauptstadt Sibiu/Hermannstadt in Rumänien zu gestalten. Daraus wird das auf E. M. Cioran und auf Joseph Haydn bezogene Werk Nächtliche Spaziergänge, dessen Voraufführung im Schloss Schönbrunn in Wien stattfindet.

Misserfolge:
1997 Abgesetzt – Die Auftragskomposition Ein heller, lichter, schöner Tag für die Eröffnung der Wiener Festwochen wird nach der Generalprobe abgesetzt. Der ORF hat offenbar Angst davor, das Fernsehpublikum mit einem avantgardistischen Werk zu verstören.

Thomas Mießgang – 10.07.2017

 

 

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