Falter | 8
Es passiert nicht oft, dass welthistorische Ereignisse und die entscheidenden Fragen, die sich an diese knüpfen, dermaßen schnell in der Kunst aufgegriffen werden. Am 9. Juli 2006 streckt das französische Fußballgenie Zinedine Zidane in der 109. Minute des WM-Endspiels den italienischen Verteidiger Marco Materazzi mit einem Kopfstoß zu Boden. Die ganze Welt rätselte über den Grund dieser heißblütigen, aber dennoch überlegten Attacke.
„Sage mir den Gründ, pourquoi, dieser blöde Hünd, mon capitaine, dir in die Quere kam”, singt Peter Ahorner eine Woche später beim Summertimeblues-Festival im südsteirischen Gamlitz, wo seine mittlerweile legendäre Hommage „Zidane” zum ersten Mal erklingt. Begleitet wird er dabei von Klemens Lendl und David Müller, die als Die Strottern wesentlichen Anteil am Wienerlied-Boom des letzten Jahrzehnts haben. Ahorner nennt sie zärtlich „meine Buam”, obgleich die beiden doch einen Tick zu alt sind, um seine leibliche Söhne zu sein.
Soeben ist eine Doppel-CD erschienen, die die Kooperation des Schrift- und Sprechstellers Ahorner mit den beiden Musiker dokumentiert: „mea ois gean” ist eine Neueinspielung des zehn Jahre zuvor entstandenen, aber längst vergriffenen Albums gleichen Titels; „wean du schlofst” versammelt Auftritte, bei denen Selbstgedichtetes von Ahorner vorgetragen und -gesungen wird (inklusive der Welturaufführung von „Zidane”).
Ahorner ist keiner, der großes Aufhebens von sich machen mag. Die meisten Leute, so erklärt er gleich zu Beginn des Treffens im Weinhaus Sittl, nähmen sich ohnedies viel zu wichtig. Schon das ewige Gewese um die eigene Originalität! Erfinden? Lächerlich. „Man kann höchstens was finden, denn es ist eh alles da!”
Das angedachte „Interview” erweist sich übrigens weitgehend als undurchführbar, weil im Zehnminutentakt Freunde und Bekannte vorbeikommen, die Ahorner begrüßen, herzen und abbusseln oder sich für ein halbes Stündchen dazusetzen.
Immerhin, ein paar Eckdaten kann der Redakteur seinem Gegenüber doch aus dem Kreuz leiern. Ahorner wird 1957 in Wien geboren und wächst in der Leopoldstadt auf – „bei der Endstation vom A-Wagen, den es nimmer gibt”. Die Mutter ist Hausfrau, der Vater Offizier, weswegen die Familie auch in der Erzherzog-Albrecht-Kaserne wohnt. Der Kontakt mit den Rekruten, denen er die unterm Maschendrahtzaun durchgereichten Bierflaschen einlöst (und vom Pfand seinen Anteil behält), macht ihn auch mit dem Duft des Dialekts bekannt. „Was ich dort aufgeschnappt habe, hab ich dann zu Hause ausprobiert – und sofort eine Watschn kassiert.” Daheim wird nämlich schön gesprochen, und der kleine Peter hat keine Ahnung, was er da futoaschbeidlmäßig so alles verzapft. Die beiden um vieles älteren Schwestern klären ihn auf.
Die Strottern verdanken ihren Erfolg nicht zuletzt Ahorner, standen sie doch kurz davor, diese Wienerlied-Sache wieder sein zu lassen. Der Grund: Mangel an brauchbaren Texten. Auch Ahorner, der die Strottern vor rund zwölf Jahren bei einem Auftritt im Metropol kennengelernt hat – „da waren die noch auf dem Pop-Trip” –, hatte mit dem klassischen Wienerlied wenig am Hut: „Das ist mir alles am Oasch gegangen. Die Melodie kann man ja noch vergewaltigen, aber die Texte waren furchtbar.”
Hörbar stehen Ahorners eigene Hervorbringungen den Dialektgedichten eines H.C. Artmann (von dem er die schwer lesbare, streng fonetische Transkription übernimmt), den Texten des Mundartdichters Ernst Kein oder auch André Hellers „Wean, du bist a Taschenfeitl” nahe: „des raunzate, faheude, des schdingade, des gfeude, des wogglade, fabeude, des hatschate, fafeude, de watschn gschwind ausdeude, da hamleche ogseude, dem flocki seine reude – wien ist eine freude!”
Bei allem Sarkasmus aber ist das Auffälligste an seinen Texten die überraschende Zartheit, mit der Ahorner nicht nur das Flaumige und das Fette zusammenbringt – „wean, du schlofst wia r a boimkazzal auf an grammeschmoizzbrod” –, sondern auch das schönere Geschlecht enthusiasmiert besingt. Er ist, so viel kann man ohne alle Ironie sagen, ein echter Frauenfreund. „In der Liebe hält es jeder, wie er kann”, schreibt der Triestiner Schriftsteller Italo Svevo in seinem Roman „Zenos Gewissen”. Ahorner formuliert den nämlichen Sachverhalt im Lied „bedingungslos” so: „in da liebe zieht a jeda sein regista / und mauncha hods hoid gean bekwehm”. Eine gute amouröse Basis ist das der Ansicht des Dichters zufolge freilich nicht, denn die Liebe entzieht sich, wie dem Lied „wos sie auszoid” zu entnehmen ist, allem ökonomischen Kalkül: „wos si auszoid ist die liebe / a waunst draufzoist zoid sis aus”.
Die Zuneigung ist aber nicht auf Frauen fixiert und eigentlich eine Grundbedingung des Ahorner’schen Schaffens. Wer Palmkätzchen auf Schmalzbrote bettet, von dem darf man wohl annehmen, dass er selbst einen baazweichen Kern hat. Ahorner ist ein Zuarbeiter, 80 Prozent seiner Jobs sind „Auftragsgeschichten”. Dennoch ist es ihm alles andere als wurscht, wer bei ihm was bestellt. Das Übersetzen von Kinderbüchern („ein Taschengeld”) lässt sich ja noch relativ einsam in der Nacht erledigen, aber wo Ahorner unmittelbar mit Menschen zu tun hat, möchte er die lieber mögen.
Wenn die Chemie stimmt, dann entwickeln sich in der Liebe so wie in der Arbeit Langzeitbeziehungen. Neben den Strottern kooperiert Ahorner auch regelmäßig mit dem deutschen Theatermacher Franz Wittenbrink, der für seine inszenierten Liederabende bekannt ist. Für ihn hat Ahorner zuletzt das Buch für den Reife-Liebe-Themenabend „Forever Young” am Theater in der Josefstadt geschrieben.
Mit Menschen, die man mag, Dinge tun, die man kann – das ist eigentlich eine ziemlich brauchbare Umschreibung geglückten Lebens. Oder, in Ahorners eigenen Worten ausgedrückt: „Für mich ist das Allerwichtigste, mit wem ich was tu. Und wenn ich mit jemandem was mach und es ist gut, dann bin ich so etwas Ähnliches wie froh.”
Klaus Nüchtern – 19.02.2014