Folker

Nun, wer weiß, dass in Wien die Sprache aus Strauchdieben „Strottern“ macht, wer zudem vernommen hat, dass der Ruth genannte deutsche Preis für Weltmusik in diesem Jahr an das österreichische Duo Die Strottern verliehen wird, mag ahnen, dass es diesmal um das andere Volksvermögen, das der Sprache und Musik geht. Die in fehlerhaftem Deutsch geschriebene, letztlich aber treffende Urteilsbegründung der Jury hat Violinist Klemens Lendl und Gitarrist David Müller so erfreut, dass sie sie auf ihre Homepage gestellt haben. Dort heißt es, dass die Strottern das Genre des Wienerlieds „klug aufpoliert und zukunftsfähig gemacht haben, musikalisch mit Elementen des Jazz und Blues, bissig humorvoll in den Texten“. Geht doch, oder?
Zum Gespräch ist Klemens Lendl aus Klosterneuburg angereist, wo er und sein Mitspieler die Ruhe der Wiener Vorstadt genießen. „David lässt sich entschuldigen. Er mischt gerade unser neues Album.“ Das neue Werk Wia tanzn is liegt rechtzeitig vor, um es zur Preisverleihung mit nach Rudolstadt zu nehmen. „Ich freue mich auf das Festival. Wir spielen gern in Deutschland. Selbst wenn ich ein Klischee bemühen muss: Diese deutsche Sachlichkeit hat Vorteile. Deutsche Tontechniker machen einfach ihre Arbeit. Bei uns erzählt der Tontechniker erst einmal seine Lebensgeschichte. Dann erst macht er sich an die Arbeit.“ Der arbeitsame Deutsche, der menschelnde Österreicher? Dass Klischees über Deutsche und Österreicher immer wieder gern körperliche Form annehmen und einem als lebendige Menschen begegnen, lässt entspannte Heiterkeit aufkommen. Lendl hat Humor, und dass er zusammen mit seinem Partner ein Publikum zum Lachen bringen kann, haben die Strottern in zahlreichen Konzerten und auf ihrem 2010er-Livealbum Das größte Glück bewiesen. „Ich mag die Konzertsituation. Zusammen mit dem Publikum zu lachen – ich kann mir nichts Schöneres vorstellen.“
Dieses Glück teilt er mit vielen jungen Musikern der Neuen Wienerliedszene. Auffällig ist der kooperative Umgang. Anders als in der an finanzieller und personeller Auszehrung leidenden Wiener Jazzszene, wo hinter vorgehaltener Hand Häme und Hohn herrschen, ist das Miteinander hier von gegenseitiger Hilfe gekennzeichnet. Nataša Mirković-De Ro, die in Wien lebende bosnische Sängerin (siehe eigenen Beitrag, S. 58), sagt: „Bei den Strottern geht mir das Herz auf.“, Drehleierspieler Matthias Loibner wird verehrt, der gute Geist von Willi Resetarits schwebt über allem, und Klemens Lendl lobt 5/8erl in Ehr’n, die ihre aktuelle CD kürzlich unter so reger Publikumsbeteiligung vorstellten, dass der Veranstaltungssaal zwischenzeitlich geschlossen werden musste. „Großartig. Wir sind eine junge Generation von weltoffenen Musikern. Übrigens, auch die junge Jazzszene ist von diesem neuen Umgangston geprägt. Wir arbeiten etwa mit der Jazzwerkstatt Wien zusammen! Außerdem eint uns, dass wir alle sehr wenig Geld haben. Da kommt kein Neid auf.“
Wobei ihn, bei den Auftritten in Österreich und Deutschland, ein Problem umtreibt, das der gemeinsamen und doch so trennenden Sprache: „Bei unseren ersten Konzerten in Deutschland fürchteten wir, dass wir wegen des Dialekts und wegen unserem Schmäh nicht verstanden werden. Aber glücklicherweise mag man uns sogar in Berlin.“ Auftritte im Ausland sind anders angelegt als die auf heimischen Grund, wo sie zusammen mit Puppenspielern oder Literaten auftreten. „Jongleure hätte ich gerne mit dabei“, grinst Lendl. Dass er damit nicht Finanzjongleure meint, versteht sich. Auch Strauchdiebe haben ihre Ehre. Und demnächst sogar eine Ruth!

Harald Justin – Juli/August 2012

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