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„DIE LIEDER LEBEN NUR, INDEM MAN SIE SPIELT” – DIE STROTTERN IM MICA-INTERVIEW
Eben haben DIE STROTTERN das Album “Schau di an” (Cracked Anegg) veröffentlicht. Jürgen Plank hat mit DAVID MÜLLER und KLEMENS LENDL über ihre Zusammenarbeit mit dem Autor PETER AHORNER gesprochen und wie wichtig der Band der Austausch mit dem Publikum ist. Außerdem sprechen die beiden darüber, wie sie musikalische Grenzgebiete erkunden und vielleicht trotzdem die Wienerlied-Tradition fortschreiben.
Wie ordnet ihr das neue Album “Schau di an” selbst in euerem Gesamtwerk ein?
David Müller: Jedes Mal, wenn ich anfange, die Platte zu hören, muss ich sie bis zum Ende anhören. Ich kann dann nicht aufhören und bin immer neugierig auf die nächste Nummer und die Nummer danach. Von der Arbeit her: wir haben noch keine Platte mit einer so hohen Aufmerksamkeit und Ruhe produziert. Wir haben ja nichts zu tun gehabt, wir haben keine Konzerte gehabt, keine Foto-Termine, gar nichts. Wir haben wirklich jeden Tag an dieser Platte gearbeitet und die Arbeitsgeschwindigkeit an den Corona-Inzidenz-Zahlen festgemacht. Mit der Produktion waren wir ungefähr drei Monate lang beschäftigt. Ich finde es war sehr angenehm, sich voll und ganz auf diese Platte zu konzentrieren. Sie ist wirklich aus einem Guss und das hat es bei keiner unserer Platten davor so gegeben.
Klemens Lendl: Wir machen ja immer nur Liedersammlungen. Wir sammeln Lieder und haben irgendwann genug Lieder, um eine Platte zu machen. Ich finde die Platte auch sehr homogen und mir taugt sie. Die Lieder haben, glaube ich, alle Bestand.
Ich habe euch auch mal live gesehen, ihr habt eine starke Bühnenpräsenz. Wie waren die letzten Monate ohne Konzerte?
Klemens Lendl: Schwierig. Es geht uns ja in erster Linie darum, live zu spielen und um das Erlebnis mit dem Publikum. Wie gesagt: Die Alben sind Liedersammlungen. Es ist nie zuerst ein Album da und das spielen wir dann live. Passieren tut alles live, beim Erspielen der Lieder. Keine Konzerte zu spielen, ist mir sehr schwergefallen. Ich merke auch erst jetzt, im Nachhinein, wie schwer das war. Wir haben beide Familien, man kann sich ja den ganzen Tag ohne Schwierigkeiten beschäftigen: kochen, putzen, aufräumen. Der Austausch mit dem Publikum hat wahnsinnig gefehlt und in Wirklichkeit ist man dann ein bisschen sinnlos.
Wie meinst du das?
Klemens Lendl: Wir sind ja beide keine Virtuosen. Wir sitzen nicht zu Hause und arbeiten an unserer Technik, daran noch schneller zu werden und schwierigere Sachen spielen zu können. Wir sind Liedersammler und die Lieder leben nur, indem man sie spielt. Es geht immer darum, jemandem ein Lied vorzuspielen und gemeinsam eine Geschichte zu erleben, über diese nachzudenken oder sie entstehen zu lassen. Mir geht’s immer so: wenn ich nicht spielen kann, dann weiß ich nicht, was ich machen soll.
Jetzt geht es aber weiter mit den Live-Konzerten. Peter Ahorner hat die Texte für die aktuelle Platte geschrieben. Wie habt ihr ihn gefunden und wie hat sich die Zusammenarbeit ergeben?
Klemens Lendl: Das war vor rund 20 Jahren, bei einer Produktion im Metropol hat Peter getextet und Szenen geschrieben und wir haben unsere Lieder gespielt. So haben wir ihn kennen gelernt, haben uns ein bisschen in seine Texte und seine Art zu schreiben, verliebt, in seine Sprache. Dann haben wir gesagt: wir probieren es einfach mal, ein paar Texte von ihm zu vertonen. Das war’s, das ist uns leichtgefallen und uns hat es gleich getaugt, was dabei herausgekommen ist. Seitdem passiert das immer wieder. Es ist ja nicht so, dass Peter hauptberuflich für uns Texte schreibt oder dass wir nur mit ihm arbeiten. Peter schreibt ja viel und für viele, er macht auch viel fürs Theater. Jetzt, haben wir gesagt, ist es wieder Mal Zeit eine ganze Platte zu machen. Eine Platte, nur mit seinen Texten.
David Müller: Das war auch der Wunsch von Peter. Er ist an uns herangetreten, mit einem Konzept für ein neues Album. Er hat den Stein ins Rollen gebracht und wir haben auch Bock gehabt. Das hat sich dann einfach ergeben.
Peter Ahorner hat euch unter anderem den Text „Wean um hoiba viere” gegeben, der für mich jetzt eine zentrale Nummer am Album ist. Wie ist es euch mit dem Text gegangen?
Klemens Lendl: Absolut, das ist auch mein Lieblingstext. Der Text sticht heraus und reimt sich nicht, das haben wir zuerst gar nicht bemerkt. Das ist für uns ungewöhnlich, wir haben erst ein Mal ein Lied mit einem Text von Julian Schutting gemacht, der sich nicht gereimt hat. Der Text „Wean um hoiba viere” ist so dicht, da könnte man ja aus jeder Zeile ein eigenes Lied machen. Insgesamt ergibt der Text ein spannendes, dichtes, atmosphärisches Bild von Wien. Ich sage immer, das ist ein Stillleben. Das ist wie ein Röntgen-Foto der Stadt. Als wir den Text vertont haben, war uns klar, dass man da nicht viel Musik braucht. Wir setzen da nur eine musikalische Stimmung hin. Es könnten noch zwanzig Strophen sein und es würde nicht fad werden, das Lied fortzuschreiben. Dazu haben wir noch Karl Stirner eingeladen und der zaubert etwas darüber: schöner geht es nicht.
Wie erlebst du eure Studio-Aufnahmen?
David Müller: Wir merken, dass wir eine eigene Art von Groove haben, die für uns ganz selbstverständlich ist. Wir atmen sehr stark gleich, das ist manchmal erschreckend.
Wenn du ein neues Musikprojekt starten würdest: Welche Richtung würde dich interessieren?
David Müller: Es gibt schon so eine unprätentiöse Popmusik, wobei Pop da vielleicht das falsche Wort ist, aber kennst du Thomas Dybdahl? So eine Musik würde ich gerne machen. Klemens und ich hatten ja früher eine Pop-Band, das war furchtbar. Bis auf dieses eine Lied, zu dem Klemens einen englischen Text und einen deutschen Text geschrieben hat. Klemens war nicht in der Lage, das selbst zu singen und wir haben dann Georg Danzer gefragt und der hat das dann gesungen.
Wie heißt die Nummer?
David Müller: Das Lied heißt „I glaub’ da alles”. Irgendein Mensch hat das jetzt auf YouTube gestellt. So ist es wieder aufgetaucht. Das war schon eine Richtung, die ich gerne mochte.
Neben Karl Stirner habt ihr am neuen Album weitere Gäste, zum Beispiel Martin Eberle und Martin Ptak. Warum wolltet ihr die beiden dabeihaben?
Klemens Lendl: Vor ungefähr zehn Jahren haben wir uns diesen Sound eingebildet und wollten etwas mit Blechbläsern machen. Das war damals die Idee. Wir schrammen ja immer an dieser Wienerlied-Kante dahin: Wie wienerisch ist das, was wir machen? Uns interessiert es nicht besonders, uns auf das Wienerische festzulegen. Wir versuchen immer, das ausfransen zu lassen. Das sieht man eh daran, was wir machen: wir spielen dann gerne mit Franui, da geht es in Richtung Klassik und Volksmusik. Oder wir haben mit dem Ensemble Mikado gespielt und mit der Jazzwerkstatt. Wir versuchen immer, die Randbereiche zu erkunden und den Sound zu erweitern. Als wir uns eingebildet haben, dass Blechbläser toll wären, haben wir gleich gewusst, dass Martin Eberle dabei sein soll. Einfach wegen seiner Art zu spielen und zu musizieren, wegen seiner Art musikalisch zu denken und zu gestalten.
David Müller: Und menschlich passt es natürlich auch.
Klemens Lendl: Beim Martin Ptak haben wir uns auch gedacht, dass das passen könnte. Und Martin Eberle und Martin Ptak haben sich noch nicht gekannt, die haben sich bei uns getroffen.
Und spielen jetzt auch miteinander.
Klemens Lendl: Genau. Das war ein Glücksfall. Es hat sich schnell herausgestellt, dass die zwei für uns ein Traum sind, weil sie sich uneitel und unprätentiös in den Dienst der Lieder und der Musik stellen, die wir gemeinsam erfinden. Bei den Arrangements passiert vieles gemeinsam. Diesen Sound haben wir auf jeden Fall gemeinsam gefunden. Die beiden müssen ja oft leise und wenig spielen und sind solche Weltmeister auf ihren Instrumenten und virtuos, das ist eine große Freude.
Wie ergeben sich eure Kooperationen mit anderen Bühnenmenschen?
Klemens Lendl: Unsere Zusammenarbeiten ergeben sich immer über die Menschen. Wir verlieben uns zuerst in die Menschen und dann ergeben sich musikalische Begegnungen. Mit Matthias Loibner, Maja Osojnik oder Christoph Bochdansky. Oder eben mit Franui und der Jazzwerkstatt. So werden auch die nächsten Projekte entstehen. Vieles ist auch durch die Reihe in der Sargfabrik entstanden, zu der wir jedes Jahr jemanden einladen. Wir setzen uns auf die Bühne und spielen einander gegenseitig die Lieder vor.
Auch wenn ihr die Randbereiche des Wienerliedes erkundet: gibt es dennoch Protagonisten und Protagonistinnen des Genres, die euch interessieren, mit denen ihr euch in einer Reihe sehen würdet?
Klemens Lendl: Da tue ich mir schwer. Eigentlich nicht wirklich. Beim klassischen Wienerlied knüpfen wir weder musikalisch noch textlich an. Am ehesten noch bei den Sachen von Kurt Sowinetz, aber das ist ja auch schon kein Wienerlied mehr. Gäbe es bei uns das Kastl Chanson, dann würde ich uns dort hineinstecken. Wir sind ja keine Musikwissenschafter und haben kein musiktheoretisches Rüstzeug. Das haben wir einfach nicht, das haben wir nie gelernt und es hat uns auch nie genug interessiert. Wir arbeiten ohne Noten, ich kann dir bei keinen fünf Akkorden sagen, welche Noten da dazugehören. Mich hat sicher alles vom Sowinetz mehr geprägt als klassische Wienerlieder. Die höre ich bis jetzt nicht, nur zu Recherchezwecken.
Ab und an spielt ihr aber Wienerlieder in euren Konzerten.
Klemens Lendl: Die alten Wienerlieder spielen wir nur, wenn uns der Text wichtig ist und etwas mit uns zu tun hat. Der Text ist zentral. Da kann das Wienerlied noch zu schön sein, wenn der Text für mich nicht singbar ist, weil ich damit nichts anfangen kann, spielen wir das nicht. An einem Abend kannst du ein solches Stück herzeigen wie ein Museumsstück oder dich darüber lustig machen oder eine Paraphrase darauf machen. Aber das geht genau ein Mal an einem Abend, beim zweiten Mal stinkt das schon. Wir spielen dann etwas, was Heinz Conrads im Repertoire hatte und man beschäftigt sich eine Nummer lang damit, auch mit der Figur Heinz Conrads. Oder wir machen ein Lied von Hermann Leopoldi, „Schön ist so ein Ringelspiel” ist ein schönes Lied, von A bis Z. Das ist ein Text, der Bestand hat, aber solche Lieder gibt es nicht viele. Wir haben uns noch nie damit beschäftigt, eine Tradition fortzuschreiben. Wir machen die Lieder so, wie sie aus uns herauskommen und da ist viel mehr von der Musik drinnen, die wir selbst hören als die historische Musik. So gesehen ist es eine Fortschreibung der Tradition, weil die Lieder vor 150 Jahren auch so entstanden sind. In den alten Wienerliedern hast du alles, was damals in Wien zu hören war.
Jürgen Plank – 19.07.21