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„DIE MELODIEN VON WEIHNACHTSLIEDERN SIND MEISTENS SEHR SCHÖN UND FUNKTIONIEREN ALS SOLCHE“ – SIMSA FÜNF IM MICA-INTERVIEW
Die Band SIMSA FÜNF hat eben das Album „Dezember“ veröffentlicht, das sich mit Weihnachtsliedern auseinandersetzt. Im Interview mit Jürgen Plank sagt Bandleader SEBASTIAN SIMSA welche Lieder er ausgewählt hat und warum es „Stille Nacht“ nicht aufs Album geschafft hat. „Dezember“ denkt berühmte Stücke des Genres neu, präsentiert weniger bekannte Lieder und fügt eigene Kompositionen hinzu. SEBASTIAN SIMSA erzählt, warum „Es wird scho glei dumpa“ sein Lieblings-Weihnachtslied ist und welche Lieder er heuer vermutlich am 24. Dezember singen wird.
Wenn man sich mit Weihnachtsliedern beschäftigt, kann man aus einem großen Pool auswählen. Wie bist du denn bei der Zusammenstellung des Albums „Dezember“ vorgegangen?
Sebastian Simsa: Das war ein Prozess des Ausprobierens. Es gab ein paar Lieder, bei denen war mir klar, dass sie dabei sein müssen. Aber bei vielen habe ich ausprobiert, was passiert. Ich hatte den Wunsch zwar Weihnachtslieder, zum Teil auch gut bekanntes Material zu verwenden, aber die Lieder nicht so zu spielen, wie man es gewohnt ist, sondern zu schauen, wie unsere SIMSA FÜNF-Version ist. Über ein Jahr lang bin ich, wenn ich Zeit hatte, immer wieder am Klavier gesessen und habe nach Weihnachtsliedern gesucht, bei denen ich das Gefühl hatte, dass man daraus etwas machen kann, was uns entspricht. Oder bei denen etwas Überraschendes passiert. Ich habe dann auch Lieder wieder verworfen, von denen ich gedacht habe, dass sie sicher dabei sind.
Warum ist etwa „Stille Nacht“ nicht dabei?
Sebastian Simsa: „Stille Nacht“ ist eines der wenigen Stücke, die ich schon vorab ohne lange zu überlegen ausgeschlossen habe. Es ist für viele Menschen ein Lied, das nur am 24. Dezember Platz hat. Zweitens hatte ich davor Respekt, weil bei Weihnachtsliedern mitunter gewisse Erwartungen bestehen. Wenn ich ein Album mit lauter Eigenkompositionen mache, dann sind das meine Lieder und die Leute hören sie unbefangen. Wenn ich aber Weihnachtslieder mache, dann hat ja jeder sofort zu jedem Weihnachtslied eine Idee und eine Vorstellung wie das klingen könnte oder sollte. Und bei „Stille Nacht“ hatte ich das Gefühl, dass da die Vorerwartung am allerhöchsten ist und die wollte ich gleich mal umschiffen.
Eure Platte heißt „Dezember“, stammt das Titelstück von euch?
Sebastian Simsa: Genau, es gibt auf der Platte auch drei Kompositionen von mir, die ich für mich beim Schreiben in der Vorweihnachtszeit, im Dezember verortet habe. Und es gibt ein Stück von Anja Om, die als Gastsängerin dabei ist. Ich habe an sie die Bitte gestellt: schreibe ein weltliches Weihnachtslied. Mehr Vorgaben hatte sie nicht. Es gibt also ein paar eigene Kompositionen und „Dezember“ ist eine davon.
Weihnachtslieder stehen natürlich in einem religiösen Kontext, inwiefern habt ihr euch darauf bezogen?
Sebastian Simsa: Das Album war für mich ein Spagat, weil ich mich als unreligiösen Menschen bezeichnen würde und dann ist die Idee ein Weihnachtsalbum zu machen, doch einen Schritt entfernt. Aber irgendwie ist Weihnachten neben der christlichen Bedeutung in den letzten Jahrhunderten auch Teil der westlichen oder europäischen Tradition geworden. Auch für Menschen, die nicht gläubig sind, ist es ein wichtiger Teil des Jahres. Darum sind die Stücke und die Titel irgendwo religiös behaftet, aber es ist kein religiöser Text am Album zu hören. Das lässt den Interpretationsspielraum offen, wer in die Musik etwas Religiöses hineininterpretieren möchte, kann das machen. Und wer nicht religiös ist, muss diesen Aspekt nicht heraus interpretieren. So bleiben unsere Versionen für alle zugänglich. Man kann seinen Dezember und die eigene Weihnachtszeit daraus machen.
Wie seid ihr beim Erarbeiten der Stücke vorgegangen? Habt ihr zum Beispiel zum „Riff“ von „Ihr Kinderlein kommet“ einfach mal gejammt?
Sebastian Simsa: „Es wird scho glei dumpa“ und „Ihr Kinderlein kommet“ waren ein bisschen die Ausnahmefälle. An zwei Studiotagen habe ich jeweils gegen Ende der Studiozeit gesagt: wir haben noch etwas Zeit, spielen wir das doch mal. Da gab es keinerlei Absprache, außer dass wir uns kurz in Bezug auf die Melodie verständigt haben.
Wie war es bei den anderen Liedern?
Sebastian Simsa: Sonst ist es eher so gewesen, dass ich die Lieder arrangiert habe, umgeschrieben auf eine Art, die für uns passen könnte. Bei den Proben ist dann natürlich noch viel ausprobiert und verändert worden. Die SIMSA FÜNF-Handschrift ist meine, aber auch die der Band. Denn die Musiker wissen viel genauer als ich, was sie mit ihren Instrumenten machen können. Ich bin sehr froh darüber, dass sehr viel Input von den Kollegen gekommen ist.
Wird es live bei der Präsentation im Porgy & Bess Spielraum für Improvisation geben?
Sebastian Simsa: Ja, klar gibt es live oft ein bisschen mehr Platz. Man muss die Soli nicht auf CD-Länge bringen. Von der Grundstruktur bleibt es aber meistens recht ähnlich. Live ist mal ein Chorus länger oder da ist mal mehr Platz für ein Intro oder eine Überleitung.
Deine Band ist international besetzt, es sind mit Carles Muñoz Camarero und Andrej Prozorov Musiker aus Katalonien bzw. der Ukraine dabei. Ich könnte mir vorstellen, dass nicht alle Mitmusiker „Still, still, still“ gekannt haben. Wie war denn deren Zugang, haben sie sich zum Teil einfach einem ihnen nicht bekannten Stück angenähert?
Sebastian Simsa: Ja, das war sowieso ein spannender Prozess. Denn als ich gesagt habe, dass ich ein Weihnachtsalbum machen möchte, war bei manchen der erste Gedanke: Oje. Weil Weihnachten für viele eine sehr kommerzielle Zeit ist. Ich habe aber gleich dazu gesagt, wie mein Anspruch ist: es muss Musik sein, die auch ohne weihnachtlichen Hintergrund ihre Daseinsberechtigung hat. Ich glaube auch, dass die Musik für Leute funktioniert, die nicht den Weihnachtsbezug haben. „Es wird scho glei dumpa“ war das erste Stück, das wir aufgenommen haben, noch bevor wir von einer Weihnachts-CD gesprochen haben. Da war es zum Beispiel so, dass Andrej die Melodie gar nicht kannte und während ich mit dem Tontechniker noch Details besprochen habe, hat die Band kurz gecheckt, wie die Melodie geht und dann haben wir aufgenommen. Die Melodien von Weihnachtsliedern sind meistens sehr schön und funktionieren als solche. Es gab auch Lieder, die habe ich selbst nicht gekannt und bei der Recherche gefunden.
„Es hat sich halt eröffnet“ ist ein Weihnachtslied aus der Steiermark, das ich nicht gekannt habe. Da ist der syrische Oud-Spieler Orwa Saleh dabei, wie hat sich das ergeben?
Sebastian Simsa: „Es hat sich halt eröffnet“ wurde bei uns zu Hause jedes Jahr gesungen, das war für mich sehr präsent und mir war sehr schnell klar, dass ich das mit Orwa spielen möchte. Ich spiele seit vielen Jahren mit ihm zusammen und seit es diese Band gibt, hatte ich den Wunsch, ihn mal einzuladen und das hat sich nie logisch erschlossen. Bei diesem Stück war mir von Anfang an klar, dass das passen könnte. Ich habe ihn angerufen und wir sind draufgekommen, dass wir einen ähnlichen Weihnachtsbezug haben, denn er feiert Weihnachten ohne aus einem christlichen Haushalt zu kommen. Mir war gar nicht so bewusst, dass es das in Syrien auch gibt.
Auf eurem neuen Album gibt es auch „Geh Hansl pack dei Binggerl zamm“, ein Lied, bei dem man keinen weihnachtlichen Hintergrund vermutet.
Sebastian Simsa: Das kannte ich gar nicht, ich habe zum Teil online recherchiert, in Listen von Weihnachtsliedern und Stücke angeklickt. So habe ich das zufällig gefunden, ich dachte es ist ein altes Volkslied, aber es stammt aus den 1970er-Jahren vom Chorleiter Hermann Dellacher.Es ist ein Weihnachtslied, in dem die Hirten nach Bethlehem ziehen wollen, um Jesus zu begrüßen. Es hat eine fröhliche Melodie und bei der Probe ist es wegen der Ideen der Kollegen ein bisschen „eskaliert“, wie ich immer sage, und das war großartig. So ist dieses skurrile Stück entstanden, da gab es am Arrangement viel an kollektiver Arbeit.
Weihnachtslieder sind ein weites Feld: Es gibt neben Bing Crosby und seinen Liedern auch funkige Versionen von deutschsprachigen Weihnachtsliedern, sogar DIE TOTEN HOSEN haben „Still, Still, Still“ mal interpretiert. Was hast du im Zuge deiner Recherche festgestellt? Gibt es viele Cover-Versionen?
Sebastian Simsa: Es gibt wahnsinnig viele Versionen, sogar von „Es wird scho glei dumpa“ habe ich eine Funk-Version gefunden, das fand ich schon sehr skurril. Mir ging es da so, wie es denn Hörer:innen mit meinem Album gehen könnte: man hat einfach eine Vorstellung, was man mit einem Weihnachtslied machen darf und was nicht. Diese Vorstellung ist nicht bei allen gleich, das ist das Spannende und Schöne an der Weihnachtsmusik.
Gerade im Jazz-Bereich gibt es recht wenig in Bezug auf europäische und deutschsprachige Weihnachtslieder. Es gibt da viel in Richtung des Swing-Repertoires, das ich sehr liebe, das aber weniger zu SIMSA FÜNF passt: „Santa Claus is coming to town“ und „Rudolph, the Red-Nosed Reindeer“. Aber es gibt viel weniger deutschsprachige Weihnachtslieder im Jazz-Bereich, das finde ich richtig schade. Allerdings schön für mich, dadurch konnte ich mich ein bisschen austoben ohne selbst vorbelastet zu sein.
Welche besonderen Projekte sind dir im deutschsprachigen Raum bei der Recherche aufgefallen?
Sebastian Simsa: In Österreich gab es das „Still“-Projekt von Otto Lechner und Klaus Trabitsch, großartige Musik, die ich als Kind viel gehört habe. In den letzten Jahren habe ich versucht diese Musik so wenig wie möglich zu hören, weil ich Sorge gehabt habe, dass ich davon nicht wegkomme. Jetzt habe ich es noch einmal gehört und festgestellt, dass es eindeutig etwas anderes ist. Vom „Still“-Projekt kam auch ein bisschen die Idee her, so ein Projekt zu machen.
Welche Weihnachtslieder wirst du heuer auf jeden Fall selbst zu Weihnachten singen?
Sebastian Simsa: Gute Frage. Ich habe mich jetzt zwei Jahre lange mit Weihnachtsliedern beschäftigt und habe das Gefühl, dass es jetzt für heuer genug ist. Aber wenn das Fest näherkommt, freue ich mich wieder darauf. Was wir auf jeden Fall immer dabeihaben: „Still, still, still“, das weiß ich jetzt schon. Mein absolutes Lieblingslied ist „Es wird scho glei dumpa“.
Wegen der Melodie?
Sebastian Simsa: Ja. Ich habe schon öfters festgestellt, dass meine Musik aus einer Melancholie heraus entsteht. Und es gibt nicht viele Weihnachtslieder mit mehr Melancholie als „Es wird scho glei dumpa“. Das spricht mich sehr direkt an und trifft mich einfach. Und es strahlt trotz der Melancholie eine gewisse Geborgenheit aus.
Herzlichen Dank für das Interview.
Jürgen Plank – 2. Dezember 24