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„Ich fand die Geschichte des Kanals sofort irrsinnig interessant“ – MARKUS GEISELHART im mica-Interview
Nun, ein großes Musikwerk über ein österreichisches Industriedenkmal ist nicht wirklich etwas Alltägliches. Einer, der sich aber genau einem solchen – nämlich dem „Wiener Neustädter Kanal“ – angenommen hat und dessen mehr als 300-jährige Geschichte gemeinsam mit der BIG BAND PFAFFSTÄTTEN in beeindruckender Form vertont hat, ist der Komponist, Arrangeur, Bandleader und Posaunist MARKUS GEISELHART. Was der gebürtige Deutsche gemeinsam mit dem Orchester in der anlässlich der NIEDERÖSTERREICHISCHEN LANDESAUSSTELLUNG 2019 entstandenen „Wiener Neustädter Kanal Suite” zu Gehör bringt, ist ein irrsinnig abwechslungsreicher, stilistisch vielfältiger und wunderbar zeitloser Big-Band-Sound der Extraklasse. Nach der Uraufführung 2019 ist das Werk nun auch auf CD erschienen. MARKUS GEISELHART erzählte im Interview mit Michael Ternai darüber, wie er zu dieser Ehre kam, wie er sich dem Thema angenähert hat und wie es zur Zusammenarbeit mit dem renommierten Trompeten-Solisten der WDR BIG BAND, ANDY HADERER, gekommen ist.
Anlass für das Gespräch ist dein CD-Projekt. Wie bist du zu diesem Projekt gekommen?
Markus Geiselhart: Das hat sich nach und nach so entwickelt. Ich bin ja vor ein paar Jahren nach Pfaffstätten gezogen. Und dort gab es eine Amateur-Big-Band mit ein paar Profis dabei, was ich aber vorher nicht gewusst habe. Irgendwann haben die Leute der Big Band dann auch mitbekommen, dass ich dort lebe, und haben mich erst gefragt, ob ich nicht Lust hätte, mit ihnen zu spielen, was ich dann 2017 auch gemacht habe. Und für ein nächstes Projekt wurde ich gefragt, ob ich die Band leiten würde, was ich dann 2018 bei einem Konzert mit Carole Alston auch gemacht habe.
2019 fand dann die Niederösterreichische Landesaustellung in Wiener Neustadt statt. Ein Jahr davor ist bekannt geworden, dass die Landesausstellung unter anderem den Wiener Neustädter Kanal zum Thema macht. Daraufhin hat mich Leopold Fuhrmann, ein Saxofonist und der Gründer der Big Band, gefragt, ob ich mir nicht vorstellen könnte, eine Komposition über diesen Kanal zu schreiben. Da ich vom Kanal und dessen Geschichte eigentlich nichts wusste, musste ich mich zuerst einmal schlaumachen, bevor ich zusagte. Ich glaube, ich habe noch am selben Abend einige Internetseiten über den Kanal durchgelesen. Und dann hat sich in meinem Kopf immer mehr zusammengesponnen, wie man das Ganze aufbauen kann, sodass ich nach zwei Wochen eben zugesagt habe, den Kompositionsauftrag der Marktgemeinde Pfaffstätten anzunehmen.
Daraus ist dann die „Wiener Neustädter Kanal Suite“ entstanden, die wir 2019 uraufgeführt haben. Nach der Uraufführung ist dann die Idee entstanden, eine CD zu produzieren.
Skepsis, den Auftrag anzunehmen, hattest du also keine.
Markus Geiselhart: Vielleicht am Anfang ein wenig. Aber die war schnell weg. Nachdem es klar war, dass ich es mache, hat es dann ein halbes, dreiviertel Jahr gedauert, bis die Idee ausgereift war. Das Werk an sich habe ich dann in einem Monat geschrieben. Aber das ist bei mir immer so. Ich trage eine Idee oft ewig in meinem Kopf herum und fange erst dann zu schreiben bzw. zu komponieren an, wenn ich wirklich weiß, wohin es gehen soll. Aber dann geht es relativ schnell.
Wie bist du das Ganze musikalisch angegangen? Immerhin beginnt die Geschichte des Kanals 1797.
Markus Geiselhart: Das war ein langwieriges Thema. Von dem Moment an, an dem ich den Auftrag erhalten habe, habe ich mir sicher ein halbes Jahr lang überlegen müssen, wie ich ganze Sache angehe und wie ich sie musikalisch umsetzen will. Um mir ein besseres Bild machen zu können, habe ich während dieser Zeit verschiedene Vorträge über diesen Kanal – unter anderem auch einige von Fritz Lange, der mich bei diesem Projekt historisch beraten, die Fotos zum Booklet der CD beigesteuert und auch selber Bücher über den Kanal geschrieben hat – besucht. Letztlich hat sich dann ein dreisätziger Schwerpunkt herausgebildet. Der „Kanalbau“ und seine Funktion als Transportweg und Energielieferant, die „Kanalgeschichten“, die das Leben der Menschen am Kanal beleuchten, und der dritte Satz „Der Kanal als Industriedenkmal“, der seine heutige Bedeutung zum Inhalt hat.
Man wird beim Durchhören der „Kanal Suite“ stark an den Sound der großen Fernsehorchester der 1970er-Jahre erinnert. Hattest du so einen Klang bewusst im Sinn oder ist es einfach deine Art, so zu komponieren?
Markus Geiselhart: Schwierige Frage. Vielleicht ist das auch einfach der Sound, in dem ich für Big Band schreibe. Ich glaube allerdings schon, dass musikalisch etwas anderes herausgekommen wäre, hätte ich für das Markus Geiselhart Orchestra (MGO) geschrieben. Ganz einfach, weil ich dann mit anderen Musikerinnen und Musiker zusammengearbeitet hätte. Ich versuche immer, für die Musikerinnen und Musiker zu schreiben, die mir zur Verfügung stehen. In diesem Projekt war ich zum Beispiel auf einen Saxophonsatz beschränkt, in dem mir keine Holzdoublings in der Form zur Verfügung gestanden sind. Daher hat es sich recht schnell herausgestellt, dass ich eher in der typischen Big-Band-Besetzung bleiben musste. Als Harmonieinstrument habe ich mich dazu entschieden, Erwin Schmidt an der Hammond B3 Orgel dazu zu nehmen. Auch das hatte natürlich wieder Einfluss auf den Sound. Dass es stilistisch etwas traditioneller geworden ist, ist wiederum eher den Geschichten geschuldet, wobei so ganz klassisch ist das Werk im Ergebnis dann auch nicht, weil doch auch Elemente moderner Stile, wie etwa Rock oder Hip-Hop, Eingang in die Musik gefunden haben.
In der Big Band Pfaffstätten spielen ja viele Amateurmusikerinnen und -musiker. Wie anders war es für dich, einmal nicht mit ausschließlich Profimusikerinnen und -musikern zu arbeiten?
Markus Geiselhart: Zum einen kenne ich diese Arbeit natürlich von zahlreichen Workshops mit Amateur Big Bands, zum anderen spielen schon auch einige Profis in der Band. Und auch einige sehr gute Amateure. Man kann die Arbeit mit der Big Band Pfaffstätten vielleicht ein wenig mit meiner Arbeit an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien mit den dortigen Big Band vergleichen. In beiden Fällen geht es zu Beginn darum, an den Grundlagen zu arbeiten, bevor man sich um die musikalischen Aspekte kümmern kann. Es ist klar, dass die Band in der Breite nicht so ausgeglichen ist, wie zum Beispiel das MGO oder das Don Ellis Tribute Orchestra, wo jede Section mit sehr gut ausgebildeten Leuten besetzt ist. Aber es hat trotzdem super geklappt. Es hat vielleicht einen Schritt länger gedauert.
Die „Kanal Suite“ wurde in Pfaffstätten uraufgeführt. Wie waren die Reaktionen des Publikums?
Markus Geiselhart: Ich kann wirklich sagen, dass es sehr gut aufgenommen worden ist und die Leute richtig begeistert waren, auch wenn da viele im Publikum waren, die wenig bis gar keine Hörerfahrung mit Jazz haben. Aber ich glaube, das hat einfach auch damit zu tun, dass der Sound einer Big Band so viel Energie hat. Und das begeistert.
Hattest du vonseiten der Auftraggeber irgendwelche Vorgaben oder hattest du freie Hand?
Markus Geiselhart: Ich hatte da wirklich freie Hand. Sie haben mich machen lassen und waren bei der Uraufführung, glaube ich, auch überrascht, was sie zu hören und sehen bekamen. Neben der Big Band Pfaffstätten, dem Solisten Andy Haderer und Sprecher Peter Meissner gab es bei der Uraufführung bzw. gibt es bei Konzerten auch noch dazu passende Visuals, die auf eine Leinwand neben oder hinter der Band projiziert werden.
Du hast mit dem Trompeter Andy Haderer, der seit mehr als 30 Jahren als Solist und Leadtrompeter bei der WDR Big Band tätig ist, einen sehr prominenten Musiker für das Projekt gewinnen können. Wie hat sich die Zusammenarbeit ergeben?
Markus Geiselhart: Das ist eigentlich eine sehr lustige Geschichte. Andy ist ja in Baden geboren worden und in Tribuswinkel, also im Nachbarsort von Pfaffstätten, aufgewachsen. Daher kennt er auch viele der Musikerinnen und Musiker der Band schon von früher und ist mit einigen seit seiner Kindheit befreundet. Über diesen Weg ist es auch zu dieser Zusammenarbeit gekommen.
Gekannt hast du Andy Haderer selber aber auch, oder?
Markus Geiselhart: Ja klar, aber wir sind uns lange nicht über den Weg gelaufen. Ich kenne seinen Namen schon ewig. Das erste Mal von ihm gehört habe ich, als ich 1996 in Deutschland bei der Militärmusik war und die dortigen Kollegen ganz begeistert von einem österreichischen Trompeter bei der WDR Big Band gesprochen haben. Dann war Andy eigentlich oft Dozent im Bundesjugendjazzorchester (BuJazzO), welches unter der Leitung von Peter Herbolzheimer stand. In den vier Arbeitsphasen, die ich bei diesem Orchester hatte, war Andy allerdings nie als Dozent dabei. Ab Mitte der 2000er Jahre habe ich dann begonnen, Workshops für Big Bands zu halten, zu denen ich immer auch Kompositionen von mir mitgebracht habe. Und es war dann manchmal so, dass zwei, drei Wochen nachdem ich den Workshop abgehalten habe, Andy von diesen Bands als Solist gefeatured worden ist und Sachen von mir gespielt hat.
Zum ersten Mal über den Weg gelaufen sind wir uns 2012 oder 2013, als wir gemeinsam im Porgy & Bess mit der Teddy Ehrenreich Big Band gespielt haben, die ihn als Gastsolist eingeladen hatte. Allerdings so richtig kennengelernt habe ich ihn dann erst 2018, also bevor das ganze Kanal-Projekt losgegangen ist. Ich wurde vom Cologne Contemporary Jazz Orchestra für eine Produktion in Köln eingeladen und Leopold Fuhrmann hat Andy gesagt, er solle doch zu dem Konzert hingehen. Und nach diesem Konzert war es das erste Mal, dass wir wirklich einmal zum Reden gekommen sind. Ich habe ihm erzählt, dass ich jetzt in Pfaffstätten lebe. Und da haben wir uns vorgenommen, dass wir im darauffolgenden Jahr etwas mit der Big Band Pfaffstätten zusammen machen wollen. Wobei, zu diesem Zeitpunkt das noch gar nichts mit der „Kanal Suite“ zu tun hatte. Es sollte einfach nur ein Feature-Programm sein, welches wir zwei Wochen vor der Uraufführung der Kanal-Suite in Baden und im Jazzland in Wien dann auch gespielt haben. Von daher war mir sofort klar, als der Auftrag für die Kanal-Suite kam, dass Andy mit im Boot sein sollte. Und er hat dafür dann auch sofort zugesagt!
Du hast ja auch die Texte, die von Peter Meissner eingelesen wurden, geschrieben.
Markus Geiselhart: Genau. Geschrieben bzw. aus den verschiedenen Büchern über den Kanal genommen, sie gekürzt und in eine Form zusammengesetzt, die gemeinsam mit der Musik ein rundes Bild ergibt. Manche Texte, wie etwa den Brief, der die Bombardierung und Zerstörung des Kanals zum Thema hat, habe ich Peter auch ganz lesen lassen. Andere Texte, wie etwa jenen mit der Beethoven-Geschichte, habe ich mir aus verschiedenen Beethoven-Büchern zusammengeschrieben.
Was hast du mit diesem Projekt noch alles vor? Ich nehme an, dass es, nachdem die CD jetzt erschienen ist, live nicht allein bei der Uraufführung bleiben soll?
Markus Geiselhart: Es wäre natürlich toll, wenn noch mehr kommen würde. Am vergangenen Samstag haben wir ja bereits die CD-Präsentation in Kottingbrunn gespielt. Ich hoffe, dass wir die „Kanal Suite“ im Herbst und nächstes Jahr schon noch ein paar Mal spielen werden. Vor allem würde ich sie gerne auch im Porgy & Bess in Wien aufführen. Mal schauen, ob sich das verwirklichen lässt. In Wiener Neustadt soll es nächstes Jahr auch ein Konzert damit geben, da geht es im Moment einfach darum, einen Termin zu finden.
Unabhängig von den Konzerten und dem Programm mit der Kanal-Suite werde ich sicher auch in Zukunft mit der Big Band Pfaffstätten zusammenarbeiten. Ich wohne ja dort, von da her bietet sich das an und es ist dadurch schon auch eine Verbindung da.
Michael Ternai – 18.06.2021